Sobald man anfängt, mit einem Leistungsmesser zu fahren, verfällt man gewissen Initialismen: FTP, NP, W/kg und, natürlich, TSS. Davon redet jeder, ohne ist der Sport nicht mehr das, was er einmal war (glaubt man zumindets, wenn man die Konversationen rund um deinen Sport hört!). TSS steht für Training Stress Score, der zusammen mit der chronischen Trainingsbelastung (oder Fitness-Score) und akuten Trainingsbelastung (Ermüdung) dank seines Schöpfers Andy Coggan und der TrainingPeaks-Software einen Hype auslöste. Die TSS kann dir helfen, deine Fitness zu verstehen und zu verbessern, aber es gibt auch einige Mythen, die sich rund um den TSS entwickelt habe. Folgend gehe ich auf einige dieser Mythen ein, um den TSS etwas zu entmythisieren und dir deinen Sport zurückzugeben.
Mythos 1: Dein TSS ist alles was zählt!
Auch wenn du nicht auf TrainingPeaks bist, hast du wahrscheinlich schon mal TSS auf deinem Hauptgerät oder Zwift gesehen. Wenn deine Trainingssoftware nicht Coggans Metriken verwendet, hat sie wahrscheinlich ein Äquivalent zu TSS. Aufgrund der Allgegenwärtigkeit dieser Kennzahl gibt es viele Menschen, die TSS verwenden, ohne die nötige Erfahrung, Tools oder Einstellungen zu verstehen. Wenn du TSS verwenden möchtest, solltest du über einen genauen Leistungsmesser zur Verfügung haben und einige Maximalanstrengungen absolviert haben, um deine Leistungsschwelle zu bestimmen (die zur Berechnung von TSS verwendet wird). Häufige Ursachen für ungenaue Daten sind die Verwendung mehrerer Leistungsmesser, eine Mischung aus Indoor- und Outdoor-Training, die Einbeziehung von Cross-Training (Tempo oder Herzfrequenzdaten) sowie Spitzen oder Fehler in den Daten. Außerdem musst du genügend Daten zur Verfügung haben: ein paar Fahrten reichen nicht aus. Es kann also schwierig sein, deine TSS zu erstellen und genau zu halten. Behalte das im Hinterkopf, wenn du deine Werte einschätzen willst oder dir Gedanken über die die Zahlen deiner Freunde machst.
Mythos 2: TSS ist hilfreich für Anfänger
Als Anfänger bezeichne ich hier jeden, der mit dem Training beginnt oder es wieder aufnimmt (d.h. jemanden mit geringerer Fitness). Dort ist die Schwellenleistung wahrscheinlich nicht sehr genau. Du brauchst Trainingsaufzeichnungen und Daten über mehrere Wochen, um ein wirklich gutes Abbild deiner Fitness zu bekommen. Dein Fitness-Score oder deine chronische Belastung ist ein dynamischer TSS-Durchschnitt über deine letzten 42 Tage. Erfolg im Training ist nicht das, was du in den ersten Wochen, in denen du vor Motivation strotzt oder voll im Anfangsflow bist, leistest, sondern was du über viele Wochen, Monate und Jahre hinweg regelmäßig tust. Der Schlüssel in dieser "Anfänger"-Phase ist konsequentes Training. Das kann dann schon bis auf täglich gesteigert werden. Sammle deine Daten für die spätere Analyse, aber fixiere dich nicht zu sehr auf diese Zahlen.
Mythos 3: Mehr ist immer besser
Erwachsene , die voll im Arbeitsleben stehen und somit mit einem vollen Terminkalender konfrontiert sind, trainieren die meiste Zeit des Jahres in einem Bereich von 30-70 TSS/Tag (etwa 6-10 Stunden pro Woche). Ein Plateau oder sogar ein Rückgang der TSS sollte nicht als frustrierend empfunden werden, sondern im Zusammenhang mit dem Trainingspensum betrachtet werden, das du absolvierst. Wenn deine Fitness dann beginnt, stagnierend zu werden, ist das oft ein Hinweis darauf, dass man etwas Neues ausprobieren sollte. Das ist gut, um mögliche Einschränkungen auszugleichen, gezielt auf seine Ziele hinzuarbeiten oder einfach etwas zu verändern.Vielleicht ist es einfach an der Zeit, zu Ausfahrten im Freien (wenn du viel auf dem Trainer trainiert hast) oder zu Geländetraining überzugehen, was andere Variablen und Belastungen mit sich bringt, die nicht einfach durch TSS nicht erfasst werden (und das ist auch ein Grund, warum TSS nicht immer alles ist).
Mythos 4: TSS ist dein Sport(er)leben
Bei all dem Wirbel um TSS solltest du nicht vergessen, dass du nicht auf deinen Trainingsstress-Score reduziert wirst. Deine Leistung hängt auch nicht nur von deinem Fitnesswert ab. Überleg mal, der Radfahrer, der meint, er müsse 120 TSS/Tag einhalten muss, während er mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet, die Kinder zu außerschulischen Aktivitäten bringt und sein Familienleben zu schaukeln hat, den Ehepartner zu Hause hat und auch noch seine Freunde und Bekannte im Leben unterbringen sollte. Schnell wird die Leistung leiden, weil der Schlaf zu wenig wird, der Stress (echter Stress, kein Trainingsstress) zu hoch und das (Familien)Glück leidet. Damit steigen auch die Tage, an denen man sich verletzt, sich krank und/oder unmotiviert fühlt und bei Wettkämpfen die Leistung nicht mehr das ist, was sie sein sollte. Oder auch jene, die glauben, dass Indoor Training effizienter ist und dass genau das Training mehr TSS in kürzerer Zeit bringt, also trainiert er genau so: lieber alleine, keine Gruppenfahrten oder jede Art von technischem, taktischem oder fun-Training mit einfach mal dahinrollen. Wenn die beiden Athleten jeweils spezifischer und auf eine Weise trainieren, die zum sonstigen Alltag passt (und der ist eben manchmal anders als man geplant hat), würden sie bessere Ergebnisse und langfristige Beständigkeit aufweisen. Denke daran, dass der TSS nur eine Kombination aus Intensität und Dauer ist. Sie wird verwendet, um deine Belastung oder deinen Fitnesswert zu berechnen. Aber noch wichtiger ist, dass du diese Zahlen rational betrachtest. Denn die Zahlen sind fantastisch, wenn sie richtig berechnet und als Teil eines ganzheitlichen Trainingsansatzes gesehen werden, der auch noch Wohlbefinden taktische oder technische Fähigkeiten berücksichtigt. Und vor allem eines ist ganz wichtig im Training: Lass` dir deinen Spaß nicht von den Zahlen verderben!
Fazit am Schluss?
TSS ist ein super Tool, wenn man weiß, was es heißt bzw. berechnet. ABER: nicht alles ist TSS, also ruhig auch noch deinen Körper vertrauen und dein Vertrauen in den Körper nicht immer hinterfragen.